Donnerstag, 30. August 2012

O Little Town of Bethlehem


Vorerst werde ich die Weihnachtsgeschichte wohl anders lesen. Die Exkursion nach Bethlehem am Dienstag war spannend, vielfältig und auch desillusionierend. Das idyllische Dorf entpuppte sich als richtig schmutziger und überladener Ort. Selbst die Geburtskirche, die vielleicht etwas Heiliges an sich haben sollte, war eine Enttäuschung. Eigentlich kann ich schmuckhaften Kirchen, welche die Ehre Gottes und seine Herrlichkeit in den Mittelpunkt rücken, durchaus etwas abgewinnen. Aber hier passte es so gar nicht zusammen. Zum Teil ganz alte Mosaike die auf die Zwischenzeit von Konstantin und Justinian datiert werden auf dem Boden, dann wieder Wandmosaike die wohl aus der Kreuzfahrerzeit stammen. Das Gebäude alt, oft beschädigt – mittlerweile Weltkulturerbe, aber gefährdet, weil baufällig. Und diesem ganz alten, vielleicht hier sogar noch idyllischen Teil der Kirche folgt der Altarraum. An Protzerei wohl kaum zu übertreffen. Kunst mag ja durchaus angebracht sein und Schönheit ist relativ, aber mein Stil ist es definitiv nicht. Und dann gibt es ja auch noch die Geburtsgrotte. Positiv ist anzumerken, dass die berüchtigte Warterei nahezu nicht vorhanden war. Aber dann schreien sich die emotionalen Portugiesen gegenseitig an, man solle an einem Heiligen Ort gefälligst ruhig sein, usw. Sowohl Raum als auch Besucher baten nicht die Atmosphäre eines religiösen Heiligtum, eines Gedenkortes, eines Kultortes – ganz im Gegenteil zur Atmosphäre der Klagemauer… Im unteren Teil der Kirche befindet sich neben der Geburtsgrotten noch andere Grotten unterschiedlichster Traditionen. In einer soll Hieronymus gelebt und die Vulgata vollendet haben. Am Mittag des Besuches in Bethlehem diskutierten wir mit Mitri Raheb. Der Pastor der evangelischen Weihnachtskirche führte uns in seine Kontextuelle Theologie ein. Grob verkürzt liest er die Bibel als Geschichtensammlung eines unterdrückten Volkes, welches sich gegen ein Imperium behaupten muss. Diese Geschichten sind zudem in einer bestimmten Region angesiedelt und müssen im Kontext dieses Landes verstanden werden.  Für ihn ist in der Moderne der Staat Israel das Imperium (samt seinen westlichen Unterstützern)  und die Palästinenser sind das unterdrückte Volk. Mit viel Polemik und einer Spitzenaussage nach der Anderen versuchte er uns sowohl die aktuelle, sicherlich nicht falsche Notlage zu schildern, und forderte uns auf unsere eigenen Positionen der "deutsche Theologie", welche er als Fundamentalismus versteht, zu hinterfragen. Für mich persönlich hat der Schlusssatz, dass wir durchaus noch mit seiner Theorie streiten dürfen, sie aber mit dem Alter der Reife verstehen und annehmen können und werden, die ganze Argumentation ad absurdum geführt. Dennoch waren auch bedenkenswerte Ansätze dabei und bis heute diskutiert die Gruppe eifrig über seine Aussprüche. Wir besuchten noch die Weihnachtskirche mit einem palästinensischen Mitarbeiter, der ebenfalls die aktuelle politische (Not-)Lage verständlich aufzeigte. Der Rückweg führte uns zu Fuß an der Mauer entlang, auf der verschiedenste Graffiti zu sehen waren. Viele zeigten Unverständnis, Freiheitsbewegung, zum Teil Radikalisierung aus dem Lande heraus, aber auch viel Solidarität von auswärtigen Gruppen, die sich darauf verewigt haben. Den Checkpoint passierten wir zwar mühelos, aber es dennoch mussten wir die langen und geordneten Sicherheitszäune und Kontrollen passieren. Für den einmaligen Durchgang war es als Erlebnis sicher nicht repräsentativ und als offensichtlicher Ausländer zweimal nicht. Aber die Vorstellung, dass man sich tagtäglich für seine Bewegungen rechtfertigen muss (wenn man überhaupt diese Bewegungsfreiheit besitzt), war präsent und man darf froh sein eine solche Entmündigung nicht erfahren zu müssen.
Den Abend ließen wir beim Sommerfest des DIE ausklingen. Gemeinsam mit den Studenten von Studium in Israel, der kirchlichen und akademischen Prominenz vor Ort und weiteren vielfältigen Gäste, genießten wir die Gartenparty auf dem Ölberg. Dort fanden sich auch zwei Brüder "unserer" Abtei wieder. Ob es ein Bruder sagte, oder doch jemand anderes weiß ich nicht mehr. Jedenfalls wurde ich bei meinen Erzählungen zu Bethlehem ermutigt es nochmals an Weihnachten zu versuchen und auf jeden Fall nochmal hinzugehen. Der Charme Bethlehems und auch der der Geburtskirche kommt erst mit der Zeit zu Tage. Und zuletzt muss man sich immer wieder klarmachen, die Menschwerdung Gottes war kein sensationelles Großereignis in einem Königspalast. Nein – im nach wie vor verdreckten und schmutzigen Bethlehem kam er zur Welt. Als Licht in die Hoffnungslosigkeit und im bewussten Kontrast zwischen Herrlichkeit und Elend.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen