Vorerst werde ich die Weihnachtsgeschichte wohl anders
lesen. Die Exkursion nach Bethlehem am Dienstag war spannend, vielfältig und
auch desillusionierend. Das idyllische Dorf entpuppte sich als richtig
schmutziger und überladener Ort. Selbst die Geburtskirche, die vielleicht etwas
Heiliges an sich haben sollte, war eine Enttäuschung. Eigentlich kann ich
schmuckhaften Kirchen, welche die Ehre Gottes und seine Herrlichkeit in den
Mittelpunkt rücken, durchaus etwas abgewinnen. Aber hier passte es so gar nicht
zusammen. Zum Teil ganz alte Mosaike die auf die Zwischenzeit von Konstantin und
Justinian datiert werden auf dem Boden, dann wieder Wandmosaike die wohl aus
der Kreuzfahrerzeit stammen. Das Gebäude alt, oft beschädigt – mittlerweile Weltkulturerbe,
aber gefährdet, weil baufällig. Und diesem ganz alten, vielleicht hier sogar
noch idyllischen Teil der Kirche folgt der Altarraum. An Protzerei wohl kaum zu
übertreffen. Kunst mag ja durchaus angebracht sein und Schönheit ist relativ,
aber mein Stil ist es definitiv nicht. Und dann gibt es ja auch noch die
Geburtsgrotte. Positiv ist anzumerken, dass die berüchtigte Warterei nahezu
nicht vorhanden war. Aber dann schreien sich die emotionalen Portugiesen
gegenseitig an, man solle an einem Heiligen Ort gefälligst ruhig sein, usw. Sowohl
Raum als auch Besucher baten nicht die Atmosphäre eines religiösen Heiligtum,
eines Gedenkortes, eines Kultortes – ganz im Gegenteil zur Atmosphäre der
Klagemauer… Im unteren Teil der Kirche befindet sich neben der Geburtsgrotten
noch andere Grotten unterschiedlichster Traditionen. In einer soll Hieronymus
gelebt und die Vulgata vollendet haben. Am Mittag des Besuches in Bethlehem
diskutierten wir mit Mitri Raheb. Der Pastor der evangelischen Weihnachtskirche
führte uns in seine Kontextuelle Theologie ein. Grob verkürzt liest er die
Bibel als Geschichtensammlung eines unterdrückten Volkes, welches sich gegen
ein Imperium behaupten muss. Diese Geschichten sind zudem in einer bestimmten
Region angesiedelt und müssen im Kontext dieses Landes verstanden werden. Für ihn ist in der Moderne der Staat Israel
das Imperium (samt seinen westlichen Unterstützern) und die Palästinenser sind das unterdrückte
Volk. Mit viel Polemik und einer Spitzenaussage nach der Anderen versuchte er
uns sowohl die aktuelle, sicherlich nicht falsche Notlage zu schildern, und
forderte uns auf unsere eigenen Positionen der "deutsche Theologie",
welche er als Fundamentalismus versteht, zu hinterfragen. Für mich persönlich
hat der Schlusssatz, dass wir durchaus noch mit seiner Theorie streiten dürfen,
sie aber mit dem Alter der Reife verstehen und annehmen können und werden, die
ganze Argumentation ad absurdum geführt. Dennoch waren auch bedenkenswerte
Ansätze dabei und bis heute diskutiert die Gruppe eifrig über seine Aussprüche.
Wir besuchten noch die Weihnachtskirche mit einem palästinensischen
Mitarbeiter, der ebenfalls die aktuelle politische (Not-)Lage verständlich
aufzeigte. Der Rückweg führte uns zu Fuß an der Mauer entlang, auf der
verschiedenste Graffiti zu sehen waren. Viele zeigten Unverständnis,
Freiheitsbewegung, zum Teil Radikalisierung aus dem Lande heraus, aber auch
viel Solidarität von auswärtigen Gruppen, die sich darauf verewigt haben. Den
Checkpoint passierten wir zwar mühelos, aber es dennoch mussten wir die langen
und geordneten Sicherheitszäune und Kontrollen passieren. Für den einmaligen Durchgang
war es als Erlebnis sicher nicht repräsentativ und als offensichtlicher
Ausländer zweimal nicht. Aber die Vorstellung, dass man sich tagtäglich für
seine Bewegungen rechtfertigen muss (wenn man überhaupt diese Bewegungsfreiheit
besitzt), war präsent und man darf froh sein eine solche Entmündigung nicht
erfahren zu müssen.
Den Abend ließen wir beim Sommerfest des DIE ausklingen.
Gemeinsam mit den Studenten von Studium in Israel, der kirchlichen und
akademischen Prominenz vor Ort und weiteren vielfältigen Gäste, genießten wir
die Gartenparty auf dem Ölberg. Dort fanden sich auch zwei Brüder
"unserer" Abtei wieder. Ob es ein Bruder sagte, oder doch jemand
anderes weiß ich nicht mehr. Jedenfalls wurde ich bei meinen Erzählungen zu
Bethlehem ermutigt es nochmals an Weihnachten zu versuchen und auf jeden Fall
nochmal hinzugehen. Der Charme Bethlehems und auch der der Geburtskirche kommt
erst mit der Zeit zu Tage. Und zuletzt muss man sich immer wieder klarmachen,
die Menschwerdung Gottes war kein sensationelles Großereignis in einem
Königspalast. Nein – im nach wie vor verdreckten und schmutzigen Bethlehem kam
er zur Welt. Als Licht in die Hoffnungslosigkeit und im bewussten Kontrast
zwischen Herrlichkeit und Elend.
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