Mittwoch, 26. September 2012

Sound Of Silence



Oberhalb des israelischen Militärfriedhofes – auf welchem den gestorbenen Soldaten der Befreiungskriege, aber auch Kämpfer gegen Nazideutschland gedacht wird – steht – nach einem weiteren Abschnitt für die politischen Führer des Staates Israel – das Grab Theodor Herzls und seiner Familie. Das Grab des Begründers der zionistischen Bewegung erhebt sich auf dem höchsten Punkt des Herzl-Berg für sich allein und ist – für jüdische Grabmäler untypisch – mit Pflanzen umgeben. Von diesem Berg ausgehend, kann man einem Pfad folgen, der einzelne Stationen der Staatsgründung Israels darstellt und zu der eigentlichen Stätte führt von der ich heute berichten möchte: Yad Vashem.
Am 06. September besuchten wird die Gedenkstätte der Shoa, welche 1953 gegründet wurde und seit dem Museumsumbau 2005 sich ganz neu darstellt. Eigentlich ist das Gelände ein Zusammenschluss mehrerer Gedenkstätten, welche die verschiedenste Schicksalsschläge der Juden in Europa thematisieren: Ein Deportationswagen steht am Rande einer abgeschnitten Eisenbahnbrücke; im Tal der Gemeinden sind auf die Felsblöcke die Namen der verschiedensten jüdischen Gemeinden aufgeschrieben; die Halle der Erinnerung enthält eine Gedenkflamme und nennt die größten Vernichtungslager; in der Halle der Namen werden die Namen und Biographien der Opfer des Massenmordes gesammelt; ein Gedenkplatz erinnert an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Besonders eindrücklich blieb mir das Denkmal für die Kinder im Gedächtnis. Der Weg führt in die Dunkelheit hinab, wo mit Kerzen und Spiegeln ein Sternenhimmel erzeugt wird und eine off-Stimme die Namen und Geburtsorte der ermordeten Kinder nennt. Der Weg aus der Dunkelheit führt in das Tageslicht zurück. Der Kontrast von Dunkel und Licht, Tod und Leben, Verzweiflung und Hoffnung: ein Motiv, auf das vielen Gedenkstätten zurückgreifen. So auch das Museum. In einem langen dreieckigen Bau wird die Geschichte der Shoa dargestellt. Das Ende der Ausstellung thematisiert die Einwanderung und die Gründung des Staates Israel. Umrahmt wird Anfang und Ende von einem Kinderchor der dreißiger Jahre, welche die spätere israelische Nationalhymne singt. Der Weg führt in einer gewissen Dunkelheit hinab zum tiefsten Punkt des Gebäudes, an welchem der Beginn der Massenvernichtung thematisiert wird, und führt anschließend nach Ende des Weltkriegs und der Staatsgründung hinaus in das Sonnenlicht zu einer Plattform, von welcher auf man den Blick vom Berg hinab wirft. So wird wohl mit dem Motiv gespielt, dass man nach den Schrecken des Terrors nun auf das verheißene Land blickt, in welchem der Neuanfang begann. Auch sonst wird durch einzelne Bibelstellen mit den Motiven des Exils und des Auszugs aus Ägypten gearbeitet, allerdings wird der Gottesbezug ausgeklammert. Auch der Name Yad Vashem ist biblisch und findet sich in Jes 56,4-5.  
Ich komme wohl nicht darum, meine persönlichen Eindrücke zu dem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte zu schildern. Es war sehr überraschend. Ich konnte dieses Museum mit in einer gewissen Distanz gegenüber dem Dargestellten besuchen. Ich hatte nicht das Gefühl mich für meine Vorfahren rechtfertigen zu müssen oder als "Kollektivschuldiger" gebrandmarkt zu werden. Ich nehme an, dass die Aufarbeitung der Nazizeit in Deutschland doch ziemlich umfangreich ist und man sich dieser auch in unserer Generation nicht entzogen hat. Zumindest haben wir in unserer Schulzeit diese 12 Jahre mit all ihren Schrecken in nahezu jedem Schulfach besprochen. Daher war der neue Informationsgehalt relativ gering und ich entwickelte meine eigenen Überlegungen zur Ausstellung. Zwei Gedankengänge möchte ich an dieser Stelle mitteilen: Zum einen war ich wiedermal aufs Neue überrascht, wie "effektiv" die nationalsozialistische Propaganda war. Seit der Machtübernahme wurden insb. die Juden durch Propaganda in den unterschiedlichsten medialen Formen, Gesetzgebung und ideologischer Erziehung, aber auch durch "Alltagsgegenstände" wie thematisierten Gesellschaftspielen immer weiter entmenschlicht. So schien mir auch die organisierte Vernichtung des jüdischen Volkes im nazideutschen Einflussgebiet eine innerideologische "Konsequenz" zu sein. Die Juden, als außerhalb der Gesellschaft stehend und des Lebens unwürdig gedacht, propagiert und wohl auch geglaubt, wurden letzten Endes ihrer ideologischen "Bestimmung" zugeführt. Für mich unterstrich der lineare Aufbau des Museums diesen Gedankengang, allerdings bin ich mir relativ sicher, dass dies nicht die Absicht der Konzeption war. Es bestätigte sich hier die Aussage, dass nicht nur die Ideologen den Boden der Vernichtung genährt haben, sondern vielmehr die schweigende Mehrheit, welche die Ideologie für sich akzeptiert und nicht in Frage gestellt hat. Davon ausgehend musste ich mich fragen, inwieweit wir heutzutage medial beeinflusst sind. Welche Ideologie nehmen wir für bare Münze, halten sie hoch und hinterfragen sie nicht? Wo müsste man aus objektiver Sichtweise Anfragen stellen und bereits jetzt intervenieren, bevor man erneut als schweigende Masse auf das Glatteis geführt wird und sich für eine menschliche Katastrophe rechtfertigen muss? Wird uns die Welt von verschiedensten Mächten mit einer ideologischen Propaganda präsentiert, die wir durchbrechen müssen, bekämpfen müssen, um ein dadurch provoziertes Leid zu verhindern?
Ein anderer Gedankengang führte mich zur Betrachtung des Menschen. Und ganz ehrlich: Ganz so gut schneidet unsere Natur nicht ab. Das Pauschalurteil der Mensch sei genuin böse, ist sicherlich zu plakativ. Aber wenn man sich anschaut inwieweit der Mensch sich seit diesen 80 Jahren weiterentwickelt hat, muss man sich wirklich fragen, ob nicht eine Lernresistenz dem Menschen zu Eigen ist. Es hat mich traurig gemacht zu sehen, dass der Mensch im Angesicht dieser Katastrophe weiterhin in der Lage ist mit rassistisch-ideologischen, (religiös-)fanatischen oder auch andere exklusiven Argumenten, ganze Gesellschaftsgruppen auszuschließen. Ja – in einer gewissen Form als "Untermenschen" zu charakterisieren und somit ihr Lebensrecht abzusprechen. Wo bleibt das Menschenbild, welches in unserem Grundgesetz mit den Worten "Die Würde des Menschen ist unantastbar" widergegeben wird? Sind wir überhaupt in der Lage in Frieden miteinander zu leben oder ist dies eine reine Wunschvorstellung – eine Illusion? Wie kann der "Kampf für eine gerechte und friedliche Welt" gewonnen werden? Sicherlich wäre eine Resignation der falsche Weg und die Hoffnung, dass "viele kleine Menschen, die viele kleine Schritte tun das Gesicht der Welt verändern können" muss aufrecht erhalten werden. Dennoch war ich nach dem Besuch in Yad Vashem wieder einmal vom Menschen enttäuscht; und auch von seiner offensichtlichen Unfähigkeit, selbst im Angesicht des größten Leids und Versagens der Menschheit, Konsequenzen zu ziehen, um sich für ein  allgemeingültiges friedliches Miteinander zu engagieren.

Was ich noch zu sagen hätte...



Bevor ich von der Sinaiexkursion erzähle, komme ich nicht umhin Euch einen kurzen Überblick der Ereignisse im Vorfeld zu geben. So sollen zunächst noch von den vergangenen Lehrveranstaltungen berichtet werden. Die erste Vorlesung war – wie bereits zu lesen war – mit Felix Körner und Ömer Özsoy. Aus christlicher islamwissenschaftlicher Perspektive wurden die einzelnen Themenbereiche (Offenbarungs- und Schriftverständnis; Wissenschaft und offenbarte Vernunft; Pluralität und offenbarte Einheit; Autonomie und offenbartes Recht) zumeist von Prof. Körner eingeführt und anschließend von Prof. Özsoy aus innerislamischer Perspektive erläutert. Meist schloss sich daran eine Diskussion zu den einzelnen Aussagen zwischen den beiden, aber auch mit den Studenten an. Prof. Körner wollte vor allem die Aussage "we can be friends in difference" nahe bringen. Prof. Özsoy, ein Vertreter der Schule von Ankara, vertritt ebenfalls einen gewissen Pluralismus. Anhand der Koranexegese zeigte er auf, dass jeder gottesfürchtige Mann (wörtlich für "muslim") ein Paradies erwarten darf. Das Christentum (im Koran stellenweise schon monotheistisch verstanden) darf sich also der Jenseitshoffnung anschließen und gehört in seinem Glauben an den einen Gott zu der universal zu verstehenden Religion des Islam. Zudem wurde mit einem anschaulichen Beispiel aufgezeigt, wie sehr das Deutsche und der gewählte Übersetzungsansatz die Aussagen des Koran verzerren kann. Der Höhepunkt der gemeinsamen Diskussion war die Besprechung der Ringparabel. Diese wurde von verschiedenen Gruppen auf ihre Stärken und Schwächen untersucht und eine weitere versuchte eine alternative Parabel zu finden. Dies gelang zumindest in Teilen. Im Endeffekt stellt sich immer noch die Frage inwieweit der interreligiöse Dialog stattfinden kann und ob man über eine ethische Verständigung hinaus kommt. Inwieweit der Koran aus christlicher Perspektive als Offenbarung zu verstehen ist, war ein Grundthema der Veranstaltung. Diese Fragestellung wurde von einigen Studenten im Rahmen eines Essays als Prüfungsleistung bearbeitet – mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Zusammenfassung des katholisch-islamischen Dialogs präsentierte Prof. Körner im Rahmen des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft unter den Schlagwörtern "Activities Analysis Agenda". Zuletzt konnten wir die beiden Dozenten verabschieden und den beiden Freunden eine großartige Karikatur des Andern mit auf den Weg geben (Ja, wir haben hier einen echten Künstler am Start!): ein Geschenk, das Beiden große Freude bereitete.
Der ersten Exkursionswoche folgte umgehend die zweite. Eine erste Exkursion führte uns zur Grabeskirche. Die konstantinische Basilika wurde auf dem Forum des Hadrian errichtet, wozu Euseb schreibt, dass man die heidnischen Steine restlos entfernen ließ und das christliche Gebäude darauf errichtete (naja, mindestens die Substruktur musste erhalten bleiben…). Nach archäologischen Betrachtungen und durch Kenntnis der Stadtentwicklung, kann angenommen werden, dass Golgatha tatsächlich hier zu lokalisieren ist. Es handelt sich hierbei um ein ehemaliges Steinbruchgebiet, wobei der übrige Steinboden nicht mehr zum Bau verwendet werden konnte. Zudem lag das Gebiet zurzeit Jesu außerhalb der Stadtmauer und ist somit ein wahrscheinlicher Ort der Schädelstätte.  Man könnte zudem annehmen, dass Hadrian mit seinem Forum eine frühchristliche Gedenkstätte überbauen ließ. Die größte Zerstörung erfuhr die ursprüngliche Basilika durch die Herrschaft von Al-Hakim, welche wohl auch ein Auslöser des ersten Kreuzzugs darstellt. Der Wiederaufbau durch die Kreuzfahrer ist auch heute noch erkennbar, allerdings durch die Trennwände der letzten Renovierungsphase nicht im vollen Umfang. Unterhalb des armenischen Bereichs, wo sich auch die Stelle der Kreuzfindung durch Helena befindet, kann man eine alte Schiffzeichnung entdecken. Diese wird als Dank für die Errettung aus einem Schiffbruch gedeutet, wobei unklar ist, ob die jetzt christliche Inschrift, nicht ehemals pagan war und umgeschrieben wurde. Im sogenannten Grab des Josef von Arimathäa kann man nochmals die typisch frühjüdischen Stollengräber sehen.  Zu Gestaltung, Wahrnehmung, Liturgie- und Pilgerbetrieb werde ich mich äußeren, nachdem ich einmal die Nacht darin verbracht habe. Die zweite Exkursion der Woche führte uns zur St. Anna-Kirche. Dort kann man im hinteren Gelände, die in Joh 5 beschriebene Badeanlage sehen. Dort können auch Überreste der byzantinischen und des Ausbaus aus Kreuzfahrerzeit gesehen werden. Es entwickelte sich hier neben der Erinnerung an Joh 5 ebenfalls eine Marientradition. Nicht weit davon beginnt die Via Dolorosa. Da allerdings der herodianische Palast am Jaffator stand, und Pontius Pilatus dort residiert haben wird, kann der historische Kreuzweg Jesu unmöglich in der Nähe des Löwentors begonnen haben. Aber gut – die Tradition will es halt so.  In den Räumen der Ecce-Homo-Kirche kann man neben dem Struthion-Becken, eine antike Wassersammelstelle, auch ein ehemaliges römisches Pflaster sehen. Hier haben wir die Besonderheit, dass man auf ihnen noch Spuren von römischen Spielen entdecken, die wohl erst aus nachjesuanischer Zeit stammen. Bekannt ist v.a. das Königsspiel: Dies wurde – wenn ich mich richtig erinnere – mit Sklaven gespielt, wobei der Sieger für den restlichen Tag zum König ernannt wurde. Daher scheint Mt 27,27ff eine historische Grundlage zu haben, auch wenn meine "These", das Jesus der Sieger eines solchen Spiels war, eher als Blasphemie abgetan wurde…  Damit endeten die Exkursionen mit Prof. Küchler und abends konnte sein Abschied gefeiert werden. Unsere Geschenk bestanden dieses Mal aus verschiedensten Reliquien, die wir zufällig gefunden haben: Neben dem Stein, den die Schriftgelehrten beinahe auf die Ehebrecherin geworfen hätten, wenn unser Herr und Heiland dies nicht verhindert hätte, überreichten wir ihm ebenso den Sand, auf welchem der Herr und Heiland dabei schrieb  (und nun hat Prof. Küchler das einzige schriftliche Zeugnis des Herrn in seinem Besitz). Auch ein Stückchen Wolle des verlorenen Schafes konnten wir weiterreichen. Ihr seht: alles in allem ein sehr lustiger Abschlussabend zu einer überaus spannenden und unterhaltsamen (wenn auch z.T. anstrengender) Lehrveranstaltung.
Um den Bericht noch zu verlängern, möchte ich noch auf eine weitere Veranstaltung dieser Woche eingehen. So hielt Rabbiner Dr. David Bollag eine "Einführung in die jüdischen Feste und das jüdische Gebet". Da ich bereits eine ähnliche Veranstaltung besucht hatte, kam mir vieles vertraut und wenig neu vor. Allerdings hatte man dieses Mal den Vorteil die Betrachtung aus innerjüdisch orthodoxer Perspektive zu hören. Der Schwerpunkt lag dabei auf den 5 biblischen Festen: Rosch Ha-Schana, Jom Kippur, Sukkot, Pessach und Schawuot. Aufgrund der zeitlichen Nähe wurden v.a. die ersten 3 intensiv besprochen, auch wenn wir Rosch Ha-Schana nicht erlebten, da wir zugleich im Sinai waren. Diesem theoretischen Input soll im Anschluss auch das praktische Erleben folgen. Ob dieses Ziel erreicht wurde, kann ich in meinem Bericht zu Yom Kippur analysieren. Da Rabbiner Bollag uns immer mal wieder im Studienjahr zum Judentum informieren wird, erfolgt der Abschied erst später. Soweit ein erster eher inhaltlicher Einblick in die ersten Vorlesungen.

Samstag, 8. September 2012

I'm Walking



Die Woche der Exkursionen? Bislang ein definitives Ja – aber das Jahr ist noch lang. Seit letzter Woche Montag haben wir mit Prof. em. Max Küchler einen neuen Lehrer. Getreu dem Motto "Jerusalem – Geschichte und Archäologie einer Stadt mit der man nicht zu Rande kommt" werden wir von ihm in die Geheimnisse unseres neuen Wohnortes sowohl in Theorie als auch Praxis eingeführt. Sein Werk "Jerusalem - Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt" (von manchen auch liebevoll der "Dicke Küchler" genannt) genießt bei manchen offenbar Kultstatus ("noch mehr verschlungen als die Bibel" Zitat einer DIE-Besucherin).
Eine erste kleinere Wanderung von gerade mal drei Stunden führte uns einmal um die Mauern der Altstadt herum. Diese wurde von Sultan Suleiman dem Prächtigen erbaut und bis heute spiegelt sich seine Konzeption der Altstadt in eben dieser wieder. Die Geschichte der Stadt möchte ich hier nicht wiedergeben – das kann sich jeder selbst anlesen. Wir wurden auf unserer Exkursion auf vielfältige auffällige und unauffällige Besonderheiten aufmerksam gemacht, welche die Geschichte der Stadt in ihren Entwicklungsphasen aufzeigt. Der Beginn war am Zions-Tor, welches mit lauter Einflusslöchern versehen ist. Diese stammen noch aus dem 6-Tage-Krieg und von hier aus wurde die Altstadt erobert. Doch nicht nur die Zeitgeschichte kann aus den Mauern herausgelesen werden. An der Südostecke sieht man noch die kunstvollen herodianischen Steinblöcke und die Tradition will, dass an eben dieser Stelle Jesus vom Teufel versucht wurde. 
Der Mauerabschnitt an welche Jesus
verführt worden wäre, hätte
er nicht dem Versucher standgehalten.
Und auch die Bauweise der Römer, Byzantiner und Kreuzfahrer sind an und um die Stadtmauer herum zu erkennen, sodass ein Zeitraum von gut 2000 Jahre an einer Stelle ersichtlich sein kann (vielleicht auch mehr- meine Konzentration nimmt in der Hitze rapide ab) . Ansonsten ist es natürlich schwierig das Wissen ohne Fachsimpelei und dann auch noch als Laie wiedergeben zu wollen. Allerdings – um eine gewisse Kontinuität zu wahren – sei an dieser Stelle noch das Jaffa-Tor erwähnt. Dieses ist heute nicht mehr in seiner ursprünglichen Form vorhanden, stattdessen ist daneben eine Bresche in die Steinmauer geschlagen worden, durch welche dann Wilhelm II. hoch zu Ross in die Stadt einreiten konnte. Als Edmund Allenby 1917 die Stadt in Besitz nahm, soll er – nachdem er von seinem Pferd gestiegen war und zu Fuß durch das Tor ging – gesagt haben: “Wie kann ich in eine Stadt hoch zu Ross einreiten, in die mein Heiland auf einem Esel geritten ist?”.
 Eine zweite Exkursion führte uns über den Zionsberg. Auch hier fanden sich Spuren auf frühester Zeit. Zum Teil Hellenistisch zum Teil aus der Zeit von Herodes und uns wurden mögliche Interpretationen dieser Funde vorgestellt. Es war festzustellen, dass auch Steine nicht automatisch zur "Wahrheit" führen. Der Einbezug von Schriftstücken hilft weiter, auch wenn diese schnell überinterpretiert und vereinnahmt werden können. So könnte man der Meinung sein, dass die archäologischen Funde die Beschreibung Josephus bestätigen, welcher hierher ein Tor der Essener lokalisiert. Mancher geht so weit und nimmt davon ausgehend  eine Essenische Siedlung am Rande von Jerusalem an. Auch Qumran wird dafür als Beweis herangezogen, die armen Schriftrollen vom Toten Meer müssen aber auch wirklich für alles herhalten… Tja, selbst in der Archäologie wird meistens das beschrieben, was man zu finden erhofft.  Zuletzt besichtigten wir noch die letzten Spuren der Hagia Sion im Keller der Dormitio Abtei. Dass sich neben diesen heutzutage die sanitären Einrichtungen befinden, fand nicht bei allen Zustimmung. Auch die erste Veranstaltung an einem Samstag war eine Exkursion: In der Früh ging es los. Wieder einmal der Stadtmauer entlang Richtung Ölberg; man gewöhnt sich bereits an so manche Strecke. Wieder mal vorbei an der Mauerecke des Tempelbergs, wo Jesus beinahe König von Teufelsgnadentum geworden wäre, blieben wir stehen und schauten in das Kidrontal hinab. Hier war schon seit frühester Zeit der Friedhof der Stadt oder auch die Müllgrube – also für alles gedacht was man entsorgen wollte. Hier stehen auch die Grabanlagen, die der Tradition Zacharias und Abschalom zugeschrieben werden. Etwas weiter davon Richtung Norden findet sich die älteste Stephanus-Gedenkstätte und die Grabeskirche Mariens. Doch bevor wir diese aus der Nähe betrachteten durchschritten wir erst das Kidrontal und gingen in den Garten Getsemani und zur Kirche der Nationen, wo dem Gebet Jesu vor seiner Verhaftung gedacht wird. Die Kirche hat mir sehr gefallen, die Mosaike auf Boden und an der Wand waren schön, ebenso die in Lila gehaltenen Fenster. Zudem war es ruhig und nicht überladen. Aus theologischer Sicht bekamen wir noch erklärt, dass der Ölberg als Teil der Stadt, aber auch Übergang in die Wüste gilt. Wer auf dem Ölberg ist, kann noch verhaftet werden – wer über ihn hinüber steigt, der ist in Sicherheit/Freiheit (vgl. Davids Flucht vor seinem Sohn Abschalom; 2. Sam 15-16). Doch Jesus flieht nicht, obwohl er gekonnt hätte – er bleibt auf dem Ölberg und der Strafapparat setzt sich in aller Konsequenz in Gang. So zeigt sich an diesem Ort mit dieser Tradition auch durch die Lokalität die Bereitschaft Jesu die Passion zu provozieren und anzunehmen.
Von da aus ging es weiter Richtung Dominus flevit – dem Ort an dem Jesus in einer prophetischen Zeichenhandlung über Jerusalem weinte. Man konnte den Ausblick auf die Altstadt richtig genießen, die überfüllte Kirche eher weniger, und sah – wie so manch anderer vor uns – die Schönheit Jerusalems. An dieser Gedenkstätte wurden auch Gräber der Frühjüdischen Zeit gefunden, welche Einblick in die Grabespraxis geben. Es handelt sich dabei um Stollengräber, ein Mischung aus Familiengrab und individueller letzter Grabstätte. Diese konnten wir bei den sogenannten Prophetengräbern auch im Stollen selbst beobachten. Es ging weiter zur Eleona: Diese Kirche war der Geheimen Lehre Jesu gewidmet. Sie hatte aber den strukturell ungünstigen Platz nicht auf dem höchsten Punkt des Ölbergs zu liegen. Somit wurde sie, als die Erinnerungsstätten für die Himmelfahrt erbaut wurden, nicht weiter besucht. Damit war ihr Untergang hin zur heutigen Ruine besiegelt. Heutzutage wird hier an das Vater Unser gedacht, welches in allen(?) Sprachen der Welt auf Tafeln wiedergegeben wird. Zuletzt besuchten wir – vor dem Mittagessen – den lateinischen Gedenkort der Himmelfahrt – heutzutage eine Moschee (denn auch im Islam wird Jesus in den Himmel aufgenommen, allerdings ohne zuvor gestorben zu sein). Hierin findet sich auch ein Stein, der wohl den Fußabdruck Gottes darstellen soll, als er den Tempel verlassen hatte (vgl. Ez 11,22-25; Die Rückkehr erfolgt auch über den Ölberg: Ez 43,1ff). Die Mittagspause machten wir bei den französischen Benediktinerinnen, bei denen ich erneut feststellen musste: auch gesungen kann ich dieser Sprache leider nichts abgewinnen… Die zweite Hälfte des Tages führte uns in das Kidrontal zurück, wo wir nochmals das Mariengrab von innen betrachteten. Um es kurz zu machen: Man fühlte sich an die Geburtskirche zurückerinnert… Da wir in die Grotte des Verrates nicht hineinkonnten, sparten wir wieder einige Minuten. Die letzte Station bildeten die Grabdenkmäler von Abschalom und Zacharias – gewaltige Bauten zur Ehrung einer (Hohepriester-)Familie(?), welche dann mit Traditionen belegt wurden. Das Grabmal wurde lange Zeit als Erziehungsmaßnahme benutzt: Wenn der unartige Sohn eine Lehre brauchte, nahm man ihn mit und bewarf das Grabmal mit Steinen. So sollte wohl dem Kind gezeigt werden, was mit denen passiert, die sich gegen ihre Eltern auflehnen. Hier endeten ein anstrengender Tag und eine anstrengende Woche – immerhin war der Sonntag frei, auch wenn die Einführung des neuen Propstes in der Erlöserkirche nahezu obligatorisch war (zumindest als Protestant^^); und die nächste Exkursionswoche folgte sofort nach…

Zwischen Jericho und Jerusalem



Spätestens mit dem Donnerstag letzter Woche droht meine eiserne Regel "als Student nie vor 7 Uhr auszustehen" zu scheitern. Auf 5:15 Uhr war die Abfahrt Richtung Jericho zum Wadi Qelt angesetzt. Dabei handelt es sich um eine Schlucht die von Jerusalem nach Jericho führt. Warum muss man dafür so früh aufstehen? Auf einem Gipfel bei unserem Einstieg ins Wadi konnten wir den Sonnenaufgang über der Wüste betrachten; unter uns und in der Ferne eine bräunliche Stein-/Sandlandschaft, der Blick hinab in das Tal, die bergige Region umher - eine Schönheit der Natur, jenseits aller "Schönheitsideale". Mit einer gemeinsamen Morgenandacht begrüßten wir den Tag und den Aufgang der Sonne.
Der Ausblick vom "erstbesten" Hügel
Zwischen 6 Uhr und 7 Uhr begann dann unsere Wanderung durch das Wadi. Endlich erwacht und voller Lebensgeister mussten manche natürlich auf den erstbesten Berg hochrennen und schauen, ob die Aussicht besser ist. Wüste über Wüste hätte man wohl auch unten gesehen, aber die eine oder andere Baukunst konnte entdeckt werden. Doch leider ist unser archäologisches Auge noch nicht geschult genug um den Fund zu beurteilen.


In das Tal hinabgestiegen, folgten wir einem kleinen Bach, welcher – zwar natürlich, aber künstlich angelegt – Teile des Wadis durchfließt. Da wir zunächst entgegen der Flussrichtung liefen, kamen wir bald zur Quelle und rasteten. Naja, ein Teil rastete, der andere Teil musste weiter auf Entdeckungsreise gehen. Trotz mancher unangenehmer Steine, tieferen Stellen des  Gewässers, glitschigen Felsen kamen alle sowohl unbeschadet bei der Quelle an, als auch wieder zurück. Das hierfür notwendige Teamwork stellte sich später als erste Trainingseinheit heraus. Anschließend ging es den Fluss entlang zurück und immer weiter mehr oder weniger gerade aus, über Höhen und Tiefen, Steine und Sand, durch Schatten und sich allmählich bemerkbar machender Hitze. Aber Dank praktischer Kopfbedeckung, Wanderschuhen, Trinkschlauchsystem und dem jugendlichen Eifer in den Morgenstunden war das alles kein Problem. Irgendwann machten wir auch Rast und dann ging es weiter, kurze Pause, weiterlaufen. Klingt so eigentlich ganz langweilig, aber sicherlich wurden damit die gruppendynamischen Prozesse gefördert. OK – an dieser Stelle sollte nun wirklich meine übliche Ironie nicht hineingelesen werden: Die Landschaft war wirklich beeindruckend, immer wieder zeigten sich Blumen, die der Umgebung trotzten; und auch die eher eintönige Landschaft war durchaus abwechslungsreich; zuletzt auch durch den Wechsel von der Höhenregion in das Flussbett hinein. Hier konnte man schon erahnen, welch gewaltige Kräfte wirken können, wenn das Tal auf einmal vom Wasser überflutet wird.

Schon bald erreichten wir die größte Herausforderung der Wanderung. An einem kleineren Abhang, an welchem eine kleine Rutschpartie eingeplant war, fand sich auf einmal am Boden ein kleiner Teich vor. Nun stand jeder vor der Wahl: Entweder die Rutschpartie ins Nasse wagen (inkl. notwendigem Abstützen zu beiden Seiten, Gestützt und Aufgefangen werden von unten) oder aber an der Wand entlang klettern (gewisses Absturzrisiko inklusive). Es zeigte sich: Die Natur ist der beste Hochseilgarten. Mit gutem Teamwork überwanden wir die Kluft und bei den "Einzelkämpfer" wurde konstatiert: Nichtdenken hilft am Meisten. Die übrige Wanderung verlief ohne weitere Zwischenfälle und bald erreichte man das eigentliche Ziel: Das griechisch-orthodoxe Georgskloster. Eine wohltuende Erfrischung wurde gereicht, die Führung führte uns immerhin vom Empfangsraum zum Sakralraum. Selbstständig fanden wir auf dem Dach die Grotte, in welcher Elia von den Raben gefüttert wurde. Zuletzt liefen wir noch den wohl steilsten Weg der Tour zum Busparkplatz hoch. Von da an war nur noch sitzen notwendig und ich selbst genehmigte mir ein seliges Nickerchen. Die typische Studienjahr-Ansage: "Schlafen kann man auch in Deutschland" kann ich so noch nicht unterstützen. Am Abend wurden dann erste Details für die Sinai-Exkursion besprochen – Das Wadi war dafür die erste Trainingseinheit.